Der Anfang vom neuen Leben
Dieser Artikel ist sozusagen die Fortsetzung von Der Tiefpunkt (Letzter Arbeitstag/Einzug in die Psychiatrie).
Daher empfiehlt es sich, den zuerst zu lesen :)


Es war mittlerweile knapp 15:00 Uhr und die Schwestern brachten mir noch ein Mittagessen. Ich saß dann alleine im Speisezimmer. Gegessen habe ich nicht. Zum einen hatte ich nun wirklich keinen Appetit und zum anderen kam eine Mitpatientin herein, schrie mich an wie ich es wagen könne zu essen während ihre Schwester stirbt und nahm mir das Essen weg. Ich hatte wirklich Angst, sie schmeißt mir den Teller ins Gesicht...

Da ich nicht per Beschluss auf der geschlossenen Station war, konnte ich zwischen den Mahlzeiten immer mal wieder die Station verlassen.
Im Schwesterzimmer konnte ich meine Sachen abholen, Handy, Portomonaie, Feuerzeug usw, und bei der Rückkehr auf die Station musste ich alles wieder abgeben.
Ich setzte mich dann erst mal ins Auto und rauchte eine nach der andere.
Dieser krasse Tag, diese ganzen Eindrücke, meine Verzweiflung, ich musste mit jemandem reden der kein Arzt war, der mich kannte, aber mit wem? Wen kann man anrufen wenn man in der Psychiatrie gelandet ist? Wie sagt man, dass man in der Psychiatrie gelandet ist? Hey, Hallo, lange nicht gesehen, rate mal wo ich bin... ?!
Ich habe dann mit einer guten Freundin telefoniert. Sie war zwar noch auf der Arbeit, aber als sie hörte was los war, hat sie sich sofort Zeit genommen. Sie war großartig und nach dem Telefonat war es mir nicht mehr ganz so peinlich in der Klapse gelandet zu sein. Gut, dass ich hier war, gut dass man mir helfen würde. Sie glaubte an mich und das hat mir sehr gut getan.
Danach konnte ich auch meine Mutter anrufen und informieren.

Die Nacht war kurz, ich konnte nicht wirklich schlafen, ich hatte Angst vor den anderen Patienten. Ich sagte mir zwar immer wieder, wenn sie gefährlich wären, dann wären sie oder ich sicher woanders, aber mulmig war mir trotzdem.

Am nächsten Morgen gab es nach dem Frühstück eine Morgenrunde.
Alle Patienten sitzen dabei mit einigen vom Personal zusammen und jeder sagt wie es ihm geht und was er tagsüber machen möchte und es werden Aufgaben wie Tischdienst oder so besprochen.
Eine Schwester kommt zu mir und flüstert mir ins Ohr, dass ich gleich verlegt werde, ich fing an zu weinen. Hölle war ich erleichtert!

Ein Krankentrasportdienst kam und fuhr mich ins nächste Dorf. Wegen der Vorschriften durfte ich nicht selber fahren, mein Auto blieb also stehen.

Wieder zurück in Ilten komme ich auf die Station JWK I
Es ist alles hell und freundlich, mittendrin ist das Gebäude offen mit einem Glasdach, so das man auf den Stationen einen Rundweg laufen kann. Dieser freie Bereich ist unten mit Tischen und Stühlen bestückt und viel Grünzeug, dass sich hochrankt bis zum Dach.
Nee, das ist ja toll hier, das hat mehr Jugendherbergscharakter als Psychiatrie, denke ich mir so.
Ein freundlicher junger Mann nimmt mich in Empfang. Er trägt keine Klinikbekleidung sondern ganz normale Alltagskleidung. Ansonsten ist auf der Station gähnende Leere. Der Krankenpfleger sagt, er sei von einer anderen Station, heute gäbe es nur Notbesetzung auf Grund einer Betriebsversammlung. Es dauerte ein wenig, bis er meine Daten fand und wusste, welches Zimmer ich bekommen sollte. Aber das war irgentwie ganz erfrischend, weil er so locker lässig drauf war und ich schwebte ja noch auf wolke 7 weil ich aus der Geschlossenen rauskonnte. Hier war wirklich alles ganz anders also dort in Köthenwald. Ledersitzecke in groß, Sitzecke in klein, gemütlicher Fernsehraum, das Glasfensterdach, die Pflanzen und man konnte rein und raus wann man wollte.
Er brachte mich dann auf mein Zimmer.
Toll, dachte ich nur, Toll!
3 Betten, richtige Betten keine Krankenhausgestelle. ein Balkon, und das freie Bett war am Fenster an der Heizung. Ich setzte mich aufs Bett, mein Bett war Toll, ja, hier werde ich wohl gerne die nächsten Wochen schlafen.

Klingt so beim lesen vielleicht komisch, aber ich fand das in dem Moment alles wirklich Toll.

Irgentwann kamen dann die anderen Patienten aus ihren Gruppen und ich lernte meine Zimmernachbarinnen kennen. Gott sei Dank, es waren 2 nette Frauen die "normal" wirkten.

Das Mittagessen war ziemlich chaotisch, da ich nicht eingetragen war und keiner wusste wo noch ein freier Platz gewesen wäre.
Also ging ich etwas später, nachdem die ersten Plätze wieder leer waren.

Ich fühlte mich schrecklich...
Da ich später in den Essaal kam, bemerkten mich ja die meisten und das war ein Problem für mich. Ich hatte wieder Angst, unangenehm aufzufallen, mich gleich unbeliebt zu machen.
Panik, Schweiß auf der Stirn, Teller holen, blos nix anmerken lassen, da, ein freier Platz, hinsetzen, atmen.

Dem Schicksal sei Dank, dass ich genau diesen Tisch angesteuert hatte, an dem genau diese eine Mitpatientin saß. Sie sprach mich an und fragte ob ich schon eine Führung bekommen hätte, Nein? Na gut, ich zeig dir alles.
Mit dieser wunderbaren Frau habe ich in den nun kommenden Wochen diverse Male bis tief in die Nacht gequatscht und lieterweise Vanillecapuccino getrunken. Im August 2013 war ich auf ihrer Hochzeit und wir sind noch heute sehr sehr gute Freundinnen :)


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Im nächsten Artikel werde ich dann etwas über meine tägichen Ablauf und zu den einzelnen Therapien schreiben.


Wenn ihr Fragen habt oder Eure Erlebnisse berichten wollt, dann nutzt gerne die Kommentare.

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