Warum weine ich denn jetzt nun schon wieder...?!
Als Student der Kulturwissenschaft mit Hauptfach Theater bestellt man sich NATRÜRLICH das kostenlose Probeabo der „Theater Heute“.
Das erste Heft kommt an, zwischen Tür und Angel hastig durchgeblättert.
Erste Erkenntnis: Dafür brauche ich mal mehr Zeit.
 
Es liegt ein abgedrucktes Stück bei. Felicia Zeller – Zweite Allgemeine Verunsicherung.
„Eine narzistisch gestörte Depression klingt nicht lustig, schärft aber unbedingt das Bewustsein, jedenfalls wenn Felicia Zeller das Drehbuch schreibt.“
Klingt interessant, das muss ich mal in Ruhe lesen…
 
Die letzten Seiten sind das Register 2015, Block 1 : Stückabdrucke
Kurzer Blick über die Liste
Heft 07/2015 The Homemaker – Alles muss glänzen
!!!!!!!!!!! Wie geil ist das denn bitte ?!?!?
Das Heft muss ich haben.
Ach ich werde ganz sentimental, wenn ich an die Hannoveraner Inszenierung denke,
sofort habe ich Katja Gaudat als Rebecca vor Augen…
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Runter zum Briefkasten JA da ist sie, meine Theater heute 07/2015
Ich freu mich.
 
Schnell hoch, im Stehen vorm Schreibtisch fange ich an zu lesen.
 
Ist in Hannover die Flunder auch von draußen reingeschwommen? Ich erinnere mich nicht mehr… egal, weiter im Text…
Rebeccas kocht und tanzt, sie kocht für eine Familie die es nicht mehr gibt. Dad ist weg, sein Glück suchen, Sohn Michael ist weg, Dad suchen.
Tochter Rachel bereitet sich auf den Aschlußball vor, sie ist Garys zweite Wahl.
Rebecca gerät ins Träumen, wo ist die Zeit hin, gestern waren sie und ihr jetzt verschwundener Mann noch Königing und König des Abschlußballs.
Ich höre „Only you“ aus Rebeccas Küchenradio.
draußen tobt die Apokalypse.
Gary kommt um Rebecca abzuholen.
Rebecca will das Gary ihre wunderschöne Rachel bewundert.
Rachel ist das peinlich.
Gary und Rachel gehen, raus in die apokalyptische Flut.
 
Oh mann, wo kommen denn jetzt diese Tränen her?!
… also mal ehrlich…
 
Ich gehe in die Küche und hole mir meinen Kaffee.
 
Ich setze mich, schlage die letzte Seite auf, Kurzbiographie von Noah Haidle, ach schau mal, der hat ein Filmdrehbuch geschrieben, den Film muss ich sehen.
 
Ich lese den Schluss.
 
Er küsst sie. Sie tanzen.
Sie vergräbt ihren Kopf an seiner Schulter.
 
Der Song geht zu Ende. Es macht nichts. Sie tanzen weiter.
 
Die Scheinwerfer verlöschen. Es machts nichts. Sie tanzen weiter.
Das Wasser zu ihren Füßen spritzt im Dunkeln weiter.
 
ENDE
 
Tränen…
 
Meine Augen schwenken zur Seite davor.

 
Ehemann: Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
Hier ist es.
 
Er legt seine Hand aufs Herz.
 
Hier
 
Ich fange an zu heulen, stehe auf und setze mich aufs Bett.
Verdammmt was soll denn das…
Warum muss ich denn jetzt heulen?
Bin ich Rebecca oder was?
Heule ich wegen dem Stück oder weil ich bei der Durchlaufprobe geheult habe?
Mir sind auch die Tränen gelaufen, als ich in der Kantine mit Christof über die Inszenierung gesprochen habe.
Natürlich bin ich der gleiche Mensch wie damals, aber ich bin doch heute in einer ganz anderen psychischen Verfassung.
 
Warum also weine ich jetzt?
Ich setze mich hin und schreibe, vielleicht ordnet das da oben das ein oder andere.
 
Ich kann soviel sagen dass es sich nicht freudig anfühlt, es sind eher schmerzendeTränen.
Werde ich emotional in der Zeitlinie zurück geworfen?
Weine ich, weil ich mich fühle wie letzten Sommer, weine ich also aus den gleichen Gründen wie letzten Sommer?
Der letzte Sommer ist ewig her.
Nichts ist mehr wie im letzten Sommer.
Weine ich, weil ich Rebecca bin?
Ich bin nicht Rebecca.
Wieviel Rebecca bin ich?
Wieviel Rachel bin ich?
 
Ich hatte keinen Abschlussball.
 
Ich erinnere mich an einen Abischerztag am Nig.
Es endete mit dem Abijahrgang der im Chor auf der Bühne sang
„You never walk alone (I'll be with you)
Never walk alone (I'll be with you)“
 
Ich ging allein nach Hause, mir liefen die Tränen, ich dachte: ich werde niemals Abi machen, ich werde niemals mit meinem Jahrgang auf der Bühne stehen und singen, ich werde niemals einen Abschlussball haben.
 
In der Realschule war ich nicht auf meinem Abschlussball, warum eigentlich nicht?
In der Fachoberschule gab es nur eine Zeugnisverteilung.
 
Ich bin nicht verheiratet, also kann mich auch keiner verlassen um sein Glück zu suchen.
Ich habe keinen psychisch kranken Sohn. Ich will überhaupt keine Kinder.
Ich bin psychisch krank, das kann man doch keinem Kind zumuten. Ich habe einen Kater.
 
Ich will „nicht verheiratet“ in „seit x Jahren Single“ ändern und denke: ach du Scheiße, wir haben ja schon 2016… das sind … 10 Jahre … wo ist denn nur die Zeit hin…mehr Tränen…
 
Vor 20 Jahren war ich schwanger. Viele meiner Mitstudierenden sind um die 20. Ich kann mir nicht vorstellen, einer/eine von ihnen könnte mein Sohn/meine Tochter sein. Ich bin trotzdem etwas beruhigt, dass diejenigen, die ich durchaus anziehend finde, wenigstens Ende 20 sind.
 
In meiner Interpretation der Inszenierung stirbt Rebecca, es sterben auch alle anderen, wahrscheilich, vermutlich, vielleicht auch nicht, aber das ist auch eigentlich egal.
Ihr Mann kehrt zurück zu ihr, denn sie ist sein Glück, das von ihr geschaffene Heim ist sein Glück, ihre Liebe ist sein Glück, das was sie geschaffen hat, ist sein Glück.
Es ist ihr Traum, an dem wir teilhaben.
Rebecca stirbt mit der erfüllten Liebe, mit der wahrhaftigen Erkenntnis, nichts in Ihrem Leben verpasst zu haben, denn die Liebe ist es wert, sie ist alles wert. Die erotische Liebe, die sorgsame Liebe, das gebraucht werden und das geliebt werden. All das hat sie in Moment ihres Todes gefühlt, all das war im Moment ihres Todes für sie wahrhaftig.
 
Und ich sitze im Parkett und weiß nicht, ob ich mich für Rebecca freuen soll, denn einen schöneren Tod kann man doch gar nicht haben oder ob ich ob der Tragik, dass das alles nicht real war und Rebecca eigentlich ganz alleine gestorben ist, traurig und schockiert sein soll.
 
Ich denke daran, wie oft ich an meinen Tod gedacht habe, an die Inszenierung meines Todes, eines schönen Todes. Das ließ sich leider/glüchlicherweise nie vereinbaren mit dem Wunsch, nicht einsam und allein zu sterben.
 
Ich denke an die letzte Stunden meiner Großmutter. Für sie war es wahrhaftig, dass kleine böse Kreaturen von der Decke fallen, durch ihre Vagina in sie eindringen und sie langsam auffressen.
 
Ich glaube, es ist mir egal, ob mein Körper mich im Moment meines Todes mit Hormonen zubombt, wenn ich denn dadurch so sterben kann, wie Rebecca, dann bitte. In dem Moment zählt das doch nicht mehr, wahrhaftig ist doch das, was ich dann fühle.
 


Vielleicht weine ich, weil manchmal glaube, dass ich am Ende auf diese tollen Hormone angewiesen bin.

Vielleicht weine ich, weil ich manchmal Angst habe, es nicht abwarten zu können.

Vielleicht weine ich, weil ich Angst habe, vor dem was bis dahin so passiert.

Vielleicht weine ich, weil ich gerade meinen Eisprung habe und meine Hormone mich terroisieren.

Vielleicht weine ich, weil ich in den letzten Wochen wenig geschlafen habe.

Vielleicht weine ich, weil ich meine Medikamente in letzter Zeit zu oft vergessen habe.

Vielleicht weine ich, weil ich mich zum StatistenCasting getraut habe aber nicht genommen wurde und somit nicht Teil der Inszenierung wurde.

Vielleicht weine ich morgen nicht...



 Hildesheim, am 2016.02.06